Oberkrenau in der Gemeinde Oepping erlangte in alter Zeit schreckliche Berühmtheit. Die Bauern dort verstanden es nähmlich, mit einem Horn alle Ungewitter auf die umliegenden Dörfer abzulenken. Das Wetterhorn, wie es die Leute nannten, hatte ihnen eine Zigeunerin geschenkt. Dieses Horn, lang und dunkel, glich einem großen Ochsenhorn und hatte nur eine stecknadelgroße Mundstücköffnung.
Kein Wunder, dass es überaus schwierig war, daraus einen Ton hervorzubringen. Ja, das Blasen war kompliziert, dass sich nur der Radinger, der Zizlbauer und der Asanger darauf verstanden. Bald hatte sich der große Nutzen des Zauberhorns herausgestellt, und es wurde zur Sommerzeit vor jedem herannahenden Gewitter erfolgreich geblasen. Seine unheimlichen, durchdringend schrillen Töne zwangen jedes noch so starke Unwetter, einen anderen Weg zu nehmen. So blieb das Dorf Oberkrenau mit seinen Feldern und Fluren stets vor Hagelschäden und Wolkenbrüchen verschont.
In Berlesreith, in der Höllmühle und in Schürfenreit aber brachte man kaum noch eine gute Ernte ein, weil sich hier alle abgedrängten Gewitter entluden. Grund und Boden wurden mit einer Heftigkeit verheert, wie es seit Menschengedanken nie erlebt worden war. Kein Wunder, dass die Oberkrenauer von allen gehaßt und gemieden waren, dass niemand mehr zu ihnen kam und in der Kirche die Leute von ihnen wegrückten. Es war an einem schwülen Juliabend. Wolkenberg um Wolkenberg türmte sich im Westen. Die blutroten Strahlen der Abendsonne stießen wie glühende Pfleile in den Himmel und tauchten in über und über in flackerndes Feuer. Die Sonne war hinabgesunken. Drohend schob sich die Gewitterwand höher und höher und hüllte das Land in Finsternis. Allmählich kamen Winde auf. Zuerst lispelten sie in den Blättern und Halmen, dann wurden sie immer heftiger. Pfeifend und jaulend fegten sie daher, dass die Bäume ächzend ihre Wipfel neigten. Blitze flammten auf und ergossen ihren Feuerschein über das vom Sturm gepeitschte Land. Von fern rollte der Donner näher und näher. In das Brausen und Tosen des aufziehenden Gewitters drang der schrille Ton des Wetterhorns der Oberkrenauer. Auf dem Anger hinter dem Radingerhof standen drei Bauern, die unentwegt bliesen. Der unheimliche Hornruf übertönte sogar den Sturm. In den umliegenden Dörfern vernahm man voller Grimm die bekannten Tönne und verfluchte die Oberkrenauer. Ängstlich blickten alle zum Gewitterhimmel.
Über Stierberg, Weixelbaum und Kirchbach blieb die Wolkenwand, vom Ton des Wetterhorns festgebannt, stehen. Gewaltige Wassermassen stürzten herab und verwüsteten fruchtbares Land. Der kleine Höllbach schwoll zu einem reißenden Fluß an und trat über die Ufer; er unterspülte und entwurzelte Bäume, wälzte ungeheure Steinmassen hinaus und riß sein Bett zu einer tiefen Schlucht auf.
Die ganze Nacht tobte das Unwetter. Als am Morgen die Sonne über die Höhen stieg, glich das Tal des Höllbaches und seiner Umgebung einer einzigen Stätte der Verwüstung. An der Einmüdung der Höllbachschlucht in das Tal der Kleinen Mühl lagen die mächtigen Tannen und Fichten wie Hackspänne verstreut zwischen riesigen Felsklumpen. Den Oberkrenauern wurde nun selber bange, und sie fürchteten die Rache der Nachbarn. Sie unterließen in Zukunft das Wetterhornblasen. Die Alten starben aus, und von den Jungen war ohnehin niemand mehr imstande, auch nur einen Ton aus dem Horn hervorzubringen. Auch wollte keiner der Bauern das Zauberhorn in seinem Hause verwahren. Der Hof, in dem das Horn zuletzt war, wurde von Nachfahren verkauft. Seither hat niemand mehr das Wetterhorn gesehen.